Lars Heidemann
6. Juli 2011
Ein ganz subjektiver Beitrag, wie wir Medienkompetenz in die Köpfe der Kinder bekommen könnten und warum die ersten Ansätze der Regierung mal wieder scheitern werden.
Medienkompetenz ist der erlernte und verantwortungsbewusste Umgang mit den uns umgebenden Medien.
Wikipedia definiert Lernen so: Unter Lernen versteht man den absichtlichen und den beiläufigen, individuellen oder kollektiven Erwerb von geistigen, körperlichen, sozialen Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten.
Ein Artikel auf heise hat mich dazu inspiriert. In diesem Artikel ist zu lesen, dass es zahlreiche Projekte zur Förderung der Medienkompetenz durch die Landesregierung und die Landesanstalt für Medien gibt:
Schüler der neunten Klasse erhalten im Rahmen des Projekts Zeitungszeit kostenlose Zeitungsabonnements. Eltern werden durch Medienberater über problematischen Medienkonsum aufgeklärt. Trotz aller Bemühungen den Kindern Medienkompetenz zu vermitteln, gibt es durch Unwissenheit initiierte Facebook-Parties, die durch den Einsatz von Polizei und großen finanziellen Mitteln unterbunden werden.
Auch Publizist Joachim Weiner kritisiert die Programme der Regierung scharf. Er ist der Meinung, dass nur etwas an der Oberfläche zelebriert werde, aber niemand gucke, ob etwas dahinter steckt.
All das kann man aber in dem Artikel auf heise.de ausführlich nachlesen.
Was macht die Regierung, nachdem nun vermehrt Kritik geübt wird? Sie entwickelt mal wieder einen Pass. Es gibt schon einen Ausbildungs-Pass, einen Qualifizierungs-Pass und bald vielleicht auch einen Medien-Pass.
Für die Konzeption des Passes gibt es eine Online-Beteiligungsplattform und Frau Schwall-Düren (Medien-Ministerin NRW) ist über die 30.000 Webseitenaufrufe Ihrer Plattform stolz, weil die Erwartungen damit übertroffen wurden. Entschuldigung, aber 30.000 Seitenaufrufe im Internet sind überhaupt kein Anlass stolz zu sein. Hier mangelt es wohl an Medienkompetenz diese Zahl zu bewerten. Wer hat denn da beraten?!
Es sei mir gestattet zu fragen, wie Politiker und viele Erwachsene meinen den Jugendlichen (pauschal allen) Medienkompetenz vermitteln zu wollen? Denn wenn man dem ein oder anderen Interview glauben schenken darf, wissen viele Politiker immer noch nichts mit dem Internet (auch pauschal) anzufangen und lassen (!) ihre E-Mails sogar ausdrucken. Auch, wenn das iPad für den Bundestag zugelassen ist, heisst das leider nicht, dass man sich mit dem Medium und der Technik beschäftigt hat.
Um Medienkompetenz zu vermitteln, helfen also kostenlose Zeitungsabos für Schüler? Das würde aber voraussetzen, dass die Schüler verstehen, was in der Zeitung steht. Diese Zusammenhänge müssen aber in der Schule vermittelt und im Elternhaus aufbereitet werden. So habe ich in meiner Kindheit zumindest gelernt mit dem Medium Zeitung umzugehen. Aber vielleicht ist das mit G8 einfach aus Mangel an Zeit gestrichen worden.
Wie habe ich denn Medienkompetenz gelernt? Vielleicht lässt sich das übertragen?
Als ich groß wurde, fuhr man noch viel Fahrrad, spielte im Wald und baute Buden. Man hatte auch keine (facebook-) Freunde in den USA oder Japan. Höchstens mal einen Brieffreund in Frankreich.
Bei uns zuhause gab es erst sehr spät einen Computer, da war ich 16. Aber in meinem Freundeskreis hatte kurz nach dem Erscheinen schon jemand einen C64, später einen Amiga 500. Also lernte ich Befehlszeilen-Sprache und fuchste mich irgendwie hinein. Learning by doing. Kein Erwachsener hat uns das gezeigt, es wurde per Mund-zu-Mund Propaganda verbreitet. Auf diesem Prinzip basieren facebook, Twitter und Google+.
Austausch von Informationen - und seien sie noch so trivial - wird eben per facebook oder Twitter realisiert. Dazu muss man aber Zugriff auf das Medium erhalten. Da braucht es keine Tageszeitung im Abo, sondern einen Internetzugang und einen Rechner, iPad oder Smartphone. Das Verständnis für tagesaktuelle Nachrichten kommt später. Da sind wir noch nicht.
Mein Vater ist Drucktechniker. Einen Teil meiner Freizeit habe ich als Kind somit in der Druckerei verbracht, die der regionalen Tageszeitung angeschlossen war. So habe ich auch den Redaktionsalltag kennen gelernt. Und wenn ich einen Redakteur auf einem Event getroffen habe, habe ich natürlich auch seinen Artikel gelesen, der am Folgetag in der Zeitung stand. Ich musste dann oft feststellen, dass wir wohl zwei verschiedene Veranstaltungen besucht hatten. Anders konnte ich mir nicht erklären, dass der Eindruck, den wir von der gleichen Veranstaltung hatten, so unterschiedlich war.
Auch das ist Medienkompetenz:
der kritische Umgang mit Information.
Nicht alles, was über die diversen Kanäle publiziert wird, darf für bahre Münze genommen werden. Schon gar nicht, wenn die Informationen nicht von ausgebildeten Journalisten verbreitet werden, sondern über das "Mitmach-Web". Nicht anders ist aber zu erklären, dass auf facebook diverse Video-Spots aufgerufen werden, deren Inhalt sehr fraglich ist. Aber nicht etwa durch Jugendliche, sondern durch Erwachsene, die ebenfalls durch den vermeintlich interessanten Inhalt (Horror, nackte Haut o.ä.) gelockt werden.
Kurzes Praxisbeispiel: Im heise-Artikel steht, dass Hauptschüler ein kostenloses Zeitungsabonnement vermittelt bekommen. Was ruft das bei Ihnen hervor?
Lesen Sie den Satz bitte noch einmal anders: "So bekommen alle Schüler der neuten Klasse ein kostenloses Zeitungsabonnement vermittelt". Na, wie liest sich das?
Wenn man auf die Webseite des Projekts Zeitungszeit surft, kann man nachlesen, dass wirklich alle Neuntklässler ein Abo vermittelt bekommen können. Der Zusatz "Hauptschüler" im heise-Artikel manipuliert uns gezielt. Was sich der Autor Torsten Kleinz dabei wohl gedacht hat?
Im Studium hatte ich in meiner Studentenbude eine 10 MBit Internet-Standleitung durch die Universität (das war 1999 verdammt schnell). Die ersten Semesterferien habe ich 24 Stunden pro Tag vor meinem Rechner verbracht. Ich habe alle legalen und illegalen Informationsquellen kennen gelernt, wusste, wie man Computer-Viren aus Baukastenlösungen zusammen steckt oder Software in der Cloud tauscht (1999 hatte das allerdings noch einen anderen Namen). Und das Uni-Netz haben wir natürlich auch dazu genutzt, um mit den allseits beliebten Ballerspielen den Alltag über Stunden zu vergessen.
Bin ich jetzt ein Krimineller, weil ich die Rechner meiner Mitbewohner zum Absturz gebracht habe? Oder muss ich eingesperrt werden, weil ich potenzieller Amok-Läufer bin?
Was habe ich denn gelernt? Ich habe Informationsbeschaffung gelernt! Ich weiß heute, wie man effizient im Internet nach Informationen sucht, sie aufbereitet und sinnvoll mit anderen Informationen verbindet.
Auch das ist Medienkompetenz:
Informationsbeschaffung und -bewertung.
Nun bin ich vielleicht kein Vorzeigekandidat, was meine universitäre Laufbahn angeht, aber ich habe das getan, wozu man auf eine Uni geht: ich habe selbständig gelernt selbständig zu lernen (ja, die Dopplung ist bewusst gesetzt). Ich habe mir eine eigene Meinung über die Dinge in der Welt gebildet und wusste diese mit unterschiedlichsten Informationen zu untermauern.
Man rufe sich bitte kurz in Erinnerung, dass wir die politischen Unruhen in Ägypten, Lybien , Syrien, Tunesien oder Unglücke, wie in Japan über Twitter aus erster Hand erfahren haben. Ungefiltert. Diese Informationen gilt es aber zu bewerten und in einen Kontext zu bringen. Diese Aufgabe kann ein Jugendlicher nicht alleine bewerkstelligen. Er benötigt dazu Hilfe, weil es ihm an Erfahrung mangelt. Wenn diese Hilfe aber von Menschen angeboten wird, die nur wissen, wie man Medienkompetenz schreibt, nicht aber, wie man diese vermittelt, ist jeder Versuch zwecklos. Denn es geht über den normalen Geschichtsunterricht hinaus.
Das Vermitteln von Medienkompetenz ist ein enges Zusammenspiel von Eltern, Lehrern, Freunden und später auch Ausbildungsbetrieben, Universitäten und Arbeitgebern. Diese sehe ich in der Verantwortung. Und wenn ich Medienkompetenz vielen Eltern abspreche, dann muss ich es auf die verbleibenden Säulen verteilen. Das ist nicht böse gemeint, aber viele Eltern wissen es einfach nicht besser. Wie ist es sonst zu erklären, dass mich Eltern bitten ihren Kindern facebook zu erklären und vor Gefahren zu warnen?
Herrlich, berauben wir unsere Kinder eines Werkzeugs der Gegenwart, das sie als Alltagsgegenstand begreifen sollen und so selbstverständlich lernen sollen zu nutzen, wie das Öffnen und Schließen des Kühlschranks.
Auch eine wundervolle Idee. Wenn man es nicht mehr sehen kann, ist es auch nicht mehr da. Da hat aber jemand nicht mitgedacht, wenn sich diese Sperren mit wenigen Tricks und noch viel weniger Recherche umgehen lassen (ich schätze Tag 2 meiner Semesterferien. Ein Kind der Gegenwart braucht dafür keine fünf Minuten mehr).
Wir packen also alles in eine Check-Liste und lassen diese abhaken. Dann ist der Jugendliche bestens gerüstet für das Leben im Welt Weiten Web.
Ab wann und durch wen lernen Kinder eigentlich, dass es den Osterhasen und das Christkind nicht gibt?