Victoria Ernst / Björn Wieland
25. Oktober 2021
International haben sich die Akronyme UI und UX schon längst etabliert. Unser Art Director Björn Wieland zeigt die Unterschiede der beiden Disziplinen und erklärt, wie sich die Branche in Deutschland entwickelt hat und welche Veränderungen er sich für die Zukunft noch wünscht.
Zuerst einmal: UI -Design steht für „User Interface Design“, während UX-Design „User Experience Design“ heißt.
Während man beide Disziplinen durchaus separat betrachten kann, ist das User Interface Design eigentlich dem User Experience Design unterzuordnen. Es kann eine Nutzererfahrung ohne ein Interface geben (analog, beispielsweise beim Aufbau eines IKEA Regals), aber jedes Interface ist auch mit einer Nutzererfahrung verbunden (digital, beispielsweise Tesla UI). Demnach ist User Interface Design nicht automatisch Teil der User Experience, aber es gibt kein User Interface ohne eine User Experience.
Beide Design Prozesse spielen elementare Rollen in der Entwicklung digitaler Anwendungen wie Webseiten, Shop-Systeme oder Apps aller Art. Das UI-Design fokussiert sich dabei vor allem auf die visuelle Gestaltung der Anwendung, die Nutzer:innen eine möglichst optimale und einfache Interaktion ermöglicht. Dabei wird nicht nur Wert auf einfache Interaktion gelegt, sondern auch darauf geachtet, dass die Markenbotschaft und Identität sich im Design widerspiegeln.
Statt auf der visuellen Gestaltung, liegt im UX-Design der Fokus auf der Gestaltung eins Erlebnisses. Dem UX-Design Prozess geht in der Regel eine ausführliche Recherchearbeit voraus, die darauf abzielt, die zukünftigen Nutzer:innen zu verstehen und deren bestehende Kompetenzen und Bedürfnisse abzuwägen. Es geht nicht nur darum, den Nutzer:innen die Bedienbarkeit der Anwendung zu erleichtern, sondern den gesamten Nutzungsprozess zu einem positiven Erlebnis, auch auf emotionaler Ebene, zu machen.
Während in kleineren Agenturen häufig nur eine Person alle Bereiche gleichzeitig abdeckt, können sowohl UI- als auch UX-Design in größeren Unternehmen aus großen Teams bestehen. Beide Design-Teams sollten ein Auge für Typographie, Abstände und Farbgebung haben, außerdem ist ein Grundverständnis der Designhistorie von Nutzen.
Darüber hinaus sollten beide Teams ein Basiswissen verschiedener Designprogramme haben. Im Bereich der Illustration, Vektorisierung und Fotobearbeitung gehören dazu Adobe CC Programme wie Adobe Illustrator, Photoshop und Lightroom. Im Bereich Webdesign sind es Figma, Adobe XD und Sketch. Für interaktives Prototyping gibt es Programme wie Framer, Principle und auch Figma.
Als Teil des UX-Teams ist es von Vorteil psychologische Soft Skills und einen fundierten Kenntnisstand in der Marktforschung zu haben. Zum täglichen Brot des UX-Teams gehören nämlich Interviews, Wettbewerbsanalysen und Nutzerstudien. Kenntnisse in der Webentwicklung, sprich JavaScript, HTML und CSS sind von Vorteil.
Zu den psychologischen Soft Skills gehören unter anderem Empathie, Ambiguitätstoleranz und Rollendistanz. Die Designenden müssen sich in die unterschiedlichsten Nutzergruppen hineinversetzen können und, unabhängig vom eigenen Wissensstand, die Bedürfnisse der Nutzer:innen in Bereichen wie technisches Verständnis, Sprache und Kultur nachvollziehen können.
Besonders im digitalen Bereich haben sich die Anforderungen im Web- und Grafikdesign sehr verändert. Als unser Art Director Björn 2015 bei shetani anfing, waren User Experience- und User Interface Design hauptsächlich im englischsprachigen Raum etabliert. In Deutschland war Webdesign hauptsächlich als Teil des Grafikdesigns bekannt. „Damals“ erstellte man als Webdesigner:in hauptsächlich Designvorlagen für Webseiten und Applikationen mit Adobe Photoshop oder Illustrator und stellte diese den Entwickler:innen zur Verfügung. Da es vor sechs Jahren wenig Interaktivität auf Webseiten gab und spezielle Animationen erst „im Kommen“ waren, reichte dies auch vollkommen aus.
Heute, im Jahr 2021, haben sich die Anforderungen an eine:n Webdesigner:in geändert, wodurch auch der Begriff „Web“ den Aufgaben und Anforderungen nicht mehr in Gänze gerecht wird. Sukzessive etablierte sich der Begriff des User Interface Designs, da hierdurch die Domäne nicht nur auf das Web beschränkt wurde. Displays und digitale Interaktionsmöglichkeiten gibt es in vielen Lebensbereichen, so muss z. B. das Nutzerinterface eines Autos oder der Bestell-Touchpoint bei McDonalds ebenfalls erst gestaltet werden. Der große Unterscheid zwischen Grafik- und Webdesign war jedoch schon zu Beginn, dass Grafikdesigner:innen oft auch Kommunikationsdesigner:innen waren, sich also primär mit dem Einsatz von Typografie, Bild und Farbe im Printbereich und in der Werbung befassten. Hierdurch hatten sie viel mehr Spielraum als Webdesigner:innen, welche immer eine interaktive Komponente beim Design zu berücksichtigen hatten.
Schnell etablierten sich Standards, gesetzt durch Unternehmen wie Apple, Microsoft und Google, welche mit ihren Produkten den Markt dominierten und somit Interkations- und Anwendungsstandards kreierten. Nach diesen Standards, wie z. B. den Apple Human Interface Guidelines oder den Google Material Guidelines richten sich heute User Interface Designer:innen auf der ganzen Welt. Um diese Standards schaffen zu können, mussten eben diese Unternehmen das Verhalten ihrer Nutzer:innen analysieren und auswerten. Touchpoints wie Webseiten, Apps oder die allgemeine Nutzung von z. B. Smartphones wurden nicht mehr gekapselt betrachtet, sondern als Teil einer User-Journey, denn dieses ganzheitlichen Nutzungserlebnis beginnt noch vor dem ersten Besuch einer Webseite.
Der Begriff User Experience Design etablierte sich auch in deutschen Unternehmen und Agenturen immer mehr für die übergeordnete Rolle einer Person im Unternehmen, welche den beschriebenen ganzheitlichen Prozess konzipiert, leitet und überwacht.
Während unsere Kollegen in den USA, Südostasien und anderen Teilen der Welt schon ein fundiertes Verständnis von UI- und UX-Design haben und dementsprechend auch die Notwendigkeit anerkennen, hapert es in Deutschland noch etwas mit der Etablierung dieser Berufe. Häufig sind Stellen, welche als UI- oder UX-Designer ausgeschrieben sind, eigentlich Stellen für Frontend Developer oder Grafikdesigner.
Ein Grund dafür könnte sein, dass es in Deutschland noch keinen „richtigen“ Weg gibt, UX- oder UI-Designer:in zu werden. Es gibt keinen IHK-anerkannten Ausbildungsberuf in diesem Bereich und auch in Universitäten halten beide Disziplinen nur sehr langsam Einzug. Zudem fehlt noch die Erkenntnis der Notwendigkeit. Während in anderen Ländern der Nutzer schon seit Jahren im Vordergrund steht, kommt diese Erkenntnis in Deutschland erst jetzt langsam auf. Die Etablierung von Standards im UI- und UX-Bereich, und vor allem die Anpassung dieser Standards an Übersee, ist in Deutschland dringend notwendig und das Fehlen dieser Standards ein weiterer Beweis des schleppend langsamen Voranschreitens der Digitalisierung in Deutschland.